In den Debatten über die ideologische Spaltung der USA hat seit einiger Zeit ein Begriff große Konjunktur: „Asymmetrische Polarisierung“. Gemeint ist damit, dass Amerika zwar in der Tat polarisiert sei, die Verantwortung dafür aber nicht bei beiden Seiten gleichermaßen zu suchen sei. Kurz gesagt: Während die Demokraten weiterhin die politische Mitte verkörperten, seien die Republikaner seit geraumer Zeit in den ideologischen Extremismus abgedriftet. Doch diese Deutung stellt allenfalls die halbe Wahrheit des Zustands der amerikanischen Politik dar.
→ weiter lesenAls ich mich im letzten Jahr für eine Reise nach San Francisco aufmachte, erwartete ich eine hügelige Stadt im Nebel, geprägt von einer gewissen Hippie-Atmosphäre und dem für Kalifornien typischen liberalen Freigeist. Eine weitere Besonderheit der sogenannten City by the Bay wurde mir erst nach einigen Wochen bewusst: In San Francisco spielte und spielt Homosexualität eine besondere Rolle. Vor allem im Stadtteil The Castro[1] im Zentrum der Halbinsel wird besonders offen und ungezwungen mit Homosexualität umgegangen. Tagsüber fallen hier das Meer von Regenbogenflaggen[2] und viele gleichgeschlechtliche Paare in Bars und Cafés ins Auge, abends die ausgefallenen und freizügigen Ausgehoutfits. Jenseits dieser Bestandteile homosexueller Stadtkultur findet man hier eine Reihe interessanter Hinweise auf den schwulen Befreiungskampf im Amerika der 1970er Jahre und seinen bis heute prominentesten Vorkämpfer: Harvey Milk.
→ weiter lesenEtwas ist faul im Staate Neuland. Der von der britischen Zeitung The Guardian Anfang Juni aufgedeckte Skandal um die Überwachungswut US-amerikanischer Geheimdienste weitet sich beständig aus. Mithilfe des abtrünnigen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden wurden zunächst exklusive Informationen über das amerikanische Spähprogramm PRISM, später über das noch umfänglichere britische Programm Tempora veröffentlicht. Doch trotz der Aufdeckung des vermutlich umfänglichsten staatlichen Überwachungssystems der neueren Geschichte findet kaum eine politische Mobilisierung statt. Bürgerrechtsbewegungen und der netzaffinen Szene gelingt es nicht, für sich selbst und ihre Anliegen eine ausreichend kritische Öffentlichkeit herzustellen, geschweige denn, Menschen zu animieren, auf der Straße zu protestieren. Angesichts des schieren Ausmaßes der planmäßigen Überwachung ist es völlig gerechtfertigt, mit Phillip Grassman zu fragen: „Wo bleibt die Entrüstung?“[1]
→ weiter lesenWie groß müsste eigentlich der politische Skandal sein, der Barack Obama zu Fall bringen, oder vielleicht etwas weniger drastisch: ihm ernsthaften politischen Schaden zufügen könnte? Nimmt man Obamas noch junge zweite Amtszeit als Ausgangspunkt solcher Überlegungen, dann ergibt sich fast zwangsläufig die Erkenntnis, dass Obama eine erstaunliche Immunität gegenüber politischen Skandalen besitzt. Jedenfalls ist unverkennbar, dass viele politische Entwicklungen, die sich für andere Politiker zweifelsfrei zu Skandalen ausweiten würden, an dem Präsidenten einfach abperlen.
→ weiter lesen[kommentiert]: Jan Michael Kotowski über Nate Silvers gespenstisch genaue Wahlprognose
Wer ist – außer Barack Obama – der größte Gewinner der amerikanischen Präsidentschaftswahlen? Es spricht einiges dafür, dass diese Ehre einem jungen Statistiker namens Nate Silver zugeschrieben werden sollte. Als Betreiber des Blogs FiveThirtyEight – das während des Wahlkampfs für die New York Times zu einer veritablen Klick-Maschine avancierte – ist es ihm nicht nur gelungen, zum wiederholten Male fast gespenstisch genaue Wahlprognosen abzuliefern, sondern auch selbst zum Inhalt der Wahlberichterstattung zu werden. In den sozialen Netzwerken und Blogs konnte man in letzter Zeit geradezu den Eindruck gewinnen, Silvers Prognosen seien wichtiger als die Wahl selbst. Ja, es lässt sich sogar mit Fug und Recht behaupten: Nate Silver ist inzwischen ein meme. Aber warum?
Nein, es war nicht George W. Bush. Nicht er war der erste US-Präsident jüngerer Zeitrechnung, der aus seiner evangelikalen Glaubensüberzeugung und spirituellen wie persönlichen „Wiedergeburt“ („born again“) kein Geheimnis machte. Es war Jimmy Carter, der tiefgläubige Südbaptist aus Plains im Bundesstaat Georgia. Carter lockte mit seiner Person und gewiss auch seiner Verwurzelung im Süden, dem so genannten solid south, vermehrt evangelikal orientierte Wählergruppen zur Präsidentschaftswahl und verdankte vor allem ihnen seinen Wahlerfolg.
[analysiert]: Roland Hiemann über Obamas Entscheidungsstil im Weißen Haus
Obama konnte seinen Frust an diesem 15. März 2011 kaum verbergen. Die Militäroberen aus dem Pentagon hatten ihm nur zwei Optionen vorgelegt, wie die USA auf Frankreichs Ankündigung einer UN-gestützten Flugverbotszone in Libyen reagieren könnten: Nichts tun oder sich hinter Sarkozys Ansinnen stellen und Kampfjets gen Maghreb schicken. Dabei war doch längst klar, dass eine solche Aktion Gaddafis Kriegstreiberei nichts, aber auch gar nichts entgegenzusetzen versprach. Ohnehin fragten sich die meisten „Principals“, was die USA in Libyen überhaupt zu suchen hätten. Der sichtlich verdrossene Präsident aber ließ nicht locker. Auf der Suche nach klügeren Alternativen bat Obama jeden Einzelnen im Raum um seine ehrliche Meinung – sogar die jüngeren Regierungsbeamten, die in der zweiten Reihe hinter ihren Vorgesetzten Platz genommen hatten, kamen ausführlich zu Wort. „Das war ein wenig ungewöhnlich“, kommentierte Obama später selbst diese Sitzung im „Situation Room“ des Weißen Hauses.
→ weiter lesenEs sind nicht mehr furchtbar viele Wähler übrig, um die sich Barack Obama und Mitt Romney in den letzten Wochen und Tagen des Wahlkampfes streiten können. Manche sagen, es seien vier Prozent, andere sprechen eher von sechs. Die übergroße Mehrheit der Amerikaner hat ihre Entscheidung jedoch längst getroffen. Und die meisten haben das schon lange vor Beginn der Wahlkampagne getan. Dafür brauchten sie kein Wahlprogramm, keine Fernsehdebatte und ganz gewiss haben sie sich nicht die Mühe gemacht, die letzten Arbeitslosenstatistiken zu studieren.
→ weiter lesenTrotz aller Bemühungen der amerikanischen Medien, die bevorstehende Präsidentschaftswahl (von den gleichzeitigen Kongresswahlen spricht ohnehin fast niemand) als enges Rennen zu inszenieren, will sich innerhalb der Bevölkerung kein wirkliches Wahlkampffieber bemerkbar machen. Fast schon rührend mutete der Versuch der Medien an, die TV-Debatten als potentielle „game changer“ zu vermarkten. Historisch und politikwissenschaftlich gesehen ist der Effekt von TV-Debatten auf Wahlergebnisse jedoch äußerst gering. Interessantweise hat es sich aber doch so ergeben, dass Mitt Romney durch die erste TV-Debatte in der Tat einen beachtlichen Umschwung in einigen Umfragen erreichen konnte. Auch wenn sich bei den Demokraten deswegen bereits typische Panik breit machte (die durch Obamas „Punktsieg“ in der zweiten Debatte schon wieder etwas abgemildert wurde), fehlt der bevorstehenden Wahl trotzdem jedwede Aura von Brisanz oder Enthusiasmus.
Was geschieht, wenn sich Menschen zwar eine Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Situation wünschen, aber wenig Vertrauen in die Politik und die eigene Regierung haben? Dann entsteht ein Dilemma. Laut William Galston von der Brookings Institution spiegelt sich dieses Dilemma in der gegenwärtigen politischen Atmosphäre in den USA wider. Zum einen ist das Vertrauen in die Politik extrem gering, zum anderen hat das amerikanische Volk erkannt, dass die starke Polarisierung zwischen Republikanern und Demokraten zu keiner Einigung in jenen Bereichen führen wird, die ihnen am wichtigsten erscheinen – allen voran die Schaffung dringend benötigter Arbeitsplätze.