Claus Leggewie, Politikwissenschaftler und Politikberater, war Schüler eines Gymnasiums, das „vor gefühlt 200 Jahren auch schon Konrad Adenauer“ besucht hatte und dessen Rektor während Leggewies Schulzeit der eigene Vater gewesen war. Derart geprägt wurde er nach einer „kurzen Verirrung“ zur Jungen Union Teil der APO und erinnert sich an das linke Göttingen seiner Studienzeit, wo er auch promoviert hat, als einen Ort, wo „man das Gefühl hatte, hier ist die Revolution kurz davor“. Hier auch sei sein Glaube geboren worden, dass soziale Bewegungen etwas verändern und wichtige Impulse an die parlamentarische Demokratie geben könnten.
Berichte über das Jahr ’89 und damit auch die sogenannte Vorwendezeit sind geprägt von Zeichen des Aufbruchs: Menschen, die jubelnd die Parole „Wir sind das Volk“ rufen und verunsicherte Grenzbeamte einfach hinter sich lassen, um voranzuschreiten in eine lang ersehnte Zukunft. Somit erscheint ’89 gleichzeitig als Endpunkt einer sich linear entwickelnden Vorwendezeit,[1] die ihren Höhepunkt in der friedlichen Revolution fand: „Nichts wäre verlockender als ihn [den letzten Abschnitt der DDR] als Vorbereitungszeit des Umbruchs zu beschreiben – als ein Kessel, in dem der Druck steigt, bis es zur Explosion kommt. Doch der reale Befund sieht anders aus“[2], so der Historiker Stefan Wolle. Tatsächlich hatten weder westliche Beobachter noch die DDR- Staatsführung und nur vereinzelte Personen aus dem Kreis der Bürgerrechtler mit einem derartigen Ereignis gerechnet. Günter Schabowski verkörpert als Politbüromitglied die Verwirrung und Ratlosigkeit eines Systems, das von seiner eigenen Abschaffung überrumpelt wurde.
→ weiter lesenEs war der Publikumsmagnet des diesjährigen Historikertags. Bereits am ersten Tag verabredete man sich für das „Finale“. „Wir sehen uns bei Clark“ hörte man immer wieder im Göttinger ZHG (dem Veranstaltungsort), in der Mensa oder auf dem Campus. Und dann, am Freitag, ging es endlich los, der Höhepunkt der Tagung, Christopher Clark und Gerd Krumeich in der Debatte über den Ersten Weltkrieg.[1] Angekündigt als Streitgespräch und aufgrund der Scharmützel in den Medien im Vorfeld war die Erwartungshaltung im Publikum entsprechend: endlich Auseinandersetzung, endlich Kontroverse.
[präsentiert]: Robert Mueller-Stahl bespricht die Studie „On the Run. Fugitive Life in an American City“.
Es kommt nicht gerade häufig vor, dass so unterschiedliche Medien wie die Vice, die New York Times und der Blog der London School of Economics and Political Science über ein gemeinsames Thema berichten, geschweige denn das gleiche Buch besprechen. Und doch ist Alice Goffman der seltene Spagat gelungen, mit dem Bericht ihrer ethnographischen Feldforschung über ein Ghetto in West-Philadelphia in akademischen ebenso wie in populärmedialen Kreisen beachtet zu werden. Was hat sie herausgefunden?
→ weiter lesenDie Stadt ist ein sozialer, kultureller und ökonomischer Knotenpunkt, ein Mikrokosmos des menschlichen Zusammenlebens, ein pulsierendes Zentrum des politischen Handelns – und dies ist vielleicht eine idealisierte Vorstellung. Denn diese „traditionellen Städte“, wie sie wohl David Harvey am liebsten hätte, sind zerstört. Mehr und mehr Menschen werden durch steigende Mieten an die Randbereiche der Städte gedrängt, können nicht mehr teilhaben an gesellschaftlichen Allgemeingütern. Was also tun? In seinem Buch „Rebellische Städte“, das sich als konzentrierte Zusammenfassung vorheriger Abhandlungen liest,[1] sucht der politisch als Neo-Marxist zu verortende Humangeograph David Harvey nach Ursachen und Lösungen. Sein politischer Bezugspunkt ist dabei das bereits von Henri Levebvre formulierte und vehement eingeforderte „droit à la ville“. Dieses „Recht auf Stadt“ versteht Harvey als kollektives Recht. Bereits der marxistische Philosoph Levebvre setzte sich angesichts der „Existenzkrise“ im Paris der 1960er Jahre vehement für eine „Alternative“, eine „urbane“ und „antikapitalistische“ Massenbewegung von unten ein, welche eine empfundene neoliberal-städtische Sinnlosigkeit und Entfremdung überwinden könne.
→ weiter lesenDie Felder, auf denen sich gesellschaftliche Wandlungsprozesse, sich langsam verschiebende Mentalitäten und neue Sichtweisen von Zukunft und dem eigenen Leben beobachten lassen, sind vielfältig. Auch anhand der Geschichte des Bergsteigens etwa lassen sich gesellschaftliche Vorstellungen und Individualisierungsschübe nachvollziehen: von den großen, zu Ruhm und Ehre des erobernden Nationalstaates militärisch organisierten Expeditionen der 1930er bis 1960er Jahre hin zu immer kleineren Teams oder gar Einzelunternehmungen, die nur noch durch die ganz individuelle Idee der Teilnehmer motiviert und zusammengehalten wurden. Dass osteuropäische Bergsteiger und Kletterer dabei oftmals in einer etwas anderen Liga spielen, scheint fast eine Binsenweisheit zu sein. Viele der härtesten und vor allem riskantesten Wände, Berge und Winterbesteigungen wurden jedenfalls von Alpinisten aus dem ehemaligen Ostblock durchgeführt.
Mit ihrer Dissertation über die Deutschlandpolitik der Grünen vom Jahr der ersten Wahl zum europäischen Parlament bis zur Wiedervereinigung legt Regina Wick eine quellenreiche Studie zum Gründungs- und Konsolidierungsjahrzent der deutschen Grünen vor. Indem sie vielfältige Positionen einzelner Grünen-Politiker zur DDR herausarbeitet und diese in ein Wechselverhältnis zur Wahrnehmung der Partei durch die DDR stellt, leistet sie ihren Beitrag zu einem deutsch-deutschen Forschungsfeld, in dem auch in Bezug auf die Friedensbewegung noch zahlreiche Fragen offen sind.[1] Bisherige Arbeiten zu den Gründungsgrünen haben sich zwar mit den innerparteilichen Strömungen beschäftigt, jedoch nicht mit dem speziellen Fokus auf die Deutschlandpolitik.
Die neuen Bücher von Daniel Kehlmann und Jakob Augstein, die im Rahmen des 22. Göttinger Literaturherbstes nacheinander im Deutschen Theater vorgestellt wurden, nehmen beide die Finanzkrise von 2008 als Ausgangspunkt. Vor ihrem Hintergrund entwirft Kehlmann seine Romanfiguren in „F“[1] und Augstein entspinnt seine Thesen darüber, „[w]arum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen“[2]. Trotz eines offensichtlichen Protestpotentials in der Gesellschaft, konstatiert Augstein, „stehen wir uns selbst im Weg.“ Ähnlich wie Kehlmanns Protagonisten, die in einer selbst geschaffenen Scheinwelt gefangen sind.
→ weiter lesenChristin Leistner versucht in einer Studie, die Hintergründe der Entstehung politischer Dissidenz in der DDR am Beispiel von Gerd Poppe zu ergründen. So weit, so lobenswert, denn über die Dissidenz Einzelner im SED-Staat gibt es noch immer zu wenig Literatur.
→ weiter lesenFrank Schirrmachers Buch „Ego“ hat quer durch die politischen Lager für Furore gesorgt. Jöran Klatt und Christian von Eichborn disktuieren über Schirrmachers Brückenschlag vom Konservatismus zur Postwachstumsökonomie, Monster im Kapitalismus und kaputte Fernseher.
Video: Severin Caspari und Alex Hensel
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