Vor 150 Jahren, am 31. August 1864, starb, 39-jährig, der in der Parteigeschichte als Gründungspatron der Sozialdemokratie in Deutschland gefeierte und besungene Ferdinand Lassalle. Er stammte aus Breslau, wo er im April 1825 geboren wurde, als Sohn eines wohlhabenden Tuchhändlers. Der Name der Familie schrieb sich damals „Lassal“, was Sohn Ferdinand als junger Erwachsener mit 26 Jahren für sich veränderte und in Lassalle modifizierte – wohl auch, um weniger Assoziationen zur jüdischen Herkunft, die ihm unangenehm, zeitweise verhasst war, zu wecken. Ferdinand Lassalle wollte hoch hinaus, schon als Kind. Und sein Vater, der den Sohn früh bereits hätschelte, ja bewunderte, bestärkte ihn in seinem Ehrgeiz. Auch andere Ältere waren fasziniert, oft gar eingeschüchtert vom Temperament, vom Scharfsinn, von der unglaublich raschen Auffassungsgabe und oratorischen Virtuosität Lassalles. Alexander von Humboldt, die Geistesgröße in Berlin zur Mitte des 19. Jahrhunderts, sang adorierende Hymnen auf den jungen Genius. Heinrich Heine huldigte ihm – und fürchtete sich zugleich vor der hemmungslosen Egozentrik, dem skrupellosen Tatendrang Lassalles. Als „neuen Mirabeau“ feierte ihn der Dichter im Pariser Exil, als einen Geistestitanen und eine Kraftnatur, wie sie ihm noch nie zuvor begegnet sei. Aber in den frühen 1850er Jahren verdammte er ihn dann, wies ihn ab, da er Lassalles von Gesetz und Moral nicht gebremsten Methoden verabscheute. Aber das griff Lassalle nicht lange an. An Freundschaften hielt er nur solange fest, wie sie ihm nutzten, wie sich diejenigen, die sich eine Zeitlang als Freunde fühlten und fühlen durften, ihm unterwarfen.
Augustus (63 v.Chr.–14 n.Chr.), dessen Todestag nun 2000 Jahre zurückliegt, war nicht nur der erste Kaiser des Imperium Romanum, sondern mit einer Regierungszeit von über vierzig Jahren auch einer der beständigsten Herrscher der Weltgeschichte. Deshalb ist er häufiges Motiv althistorischer Forschung – Biografien und Darstellungen seiner Zeit füllen inzwischen ein ganzes Bücherregal. Aber Augustus war auch Politiker, ein Staatsmann, der ein Weltreich regierte und eine Herrschaftsordnung begründete, die mehrere Jahrhunderte Bestand hatte – das macht ihn auch für Politologen zu einem interessanten Forschungsgegenstand. An Augustus lassen sich zahlreiche Techniken des Machterwerbs und der Machterhaltung studieren, Qualifikationen, von denen manche für Politiker eines jeden politischen Systems bedeutsam sind, gleich ob in Diktaturen, Monarchien oder Demokratien. Die Antike sollte für die moderne Politikwissenschaft entdeckt werden, sie enthält einen reichhaltigen Fundus politologisch aufschlussreicher Aspekte.
→ weiter lesenEs war heute vor hundert Jahren, am Abend eines langen Arbeitstages, den er wie üblich zunächst zu Hause in seiner Schreibstube im Pariser Vorort Passy, ab Mittag dann im Parlamentsgebäude und anschließend in den Redaktionsräumen der von ihm geleiteten Zeitschrift L‘humanité verbracht hatte und den er – wie ebenfalls nicht ungewöhnlich – mit einem Essen mit Redaktionskollegen im „Café du Croissant“ beenden wollte, als die Schüsse fielen. Das Opfer saß am Tisch mit dem Rücken zum geöffneten Fenster, der Täter, ein 29-jähriges Mitglied der nationalistischen „Liga der jungen Freunde Elsaß-Lothringen“, hatte auf der Straße schon auf ihn gewartet. Er feuerte zwei Schüsse durch das Fenster ab; der erste verfehlte sein Ziel, der zweite traf tödlich. Tatmotiv: Bellizismus. Der Kriegsgegner, der da erschossen wurde, war Jean Jaurès, der parlamentarische Führer der französischen Sozialisten. Doch wer war eigentlich Jean Jaurès? Warum ihm gedenken, den doch mutmaßlich kaum noch jemand kennt, dessen Bedeutung so groß insofern kaum gewesen sein kann?
→ weiter lesenJoseph Beuys gehört wohl zu der Art Künstler, die einem hartnäckig in Erinnerung bleibt. Sein hageres Gesicht, sein Filzhut und seine mit Vorliebe verwendeten Kunstmaterialien Fett, Filz und Honig muten auch heute noch ungewöhnlich und eigenwillig an. Statt klassischer Skulpturen oder aufwändiger Gemälde überdauern Fettecken, langsam wachsende Eichen und zahlreiche Video- und Bildaufnahmen die Zeit und zeugen still von der ihnen innewohnenden Kreativität und dem revolutionären Drang des Joseph Beuys. Sie alle sind gleichermaßen Beiwerk und Träger seiner revolutionären Absichten, die mit Rekurs auf den erweiterten Kunstbegriff und in phantasievoller Umsetzung im Konzept der sozialen Plastik münden. Auf Grundlage dieses Verständnisses begann Beuys zu protestieren, Widerstand zu leisten und Missstände öffentlich zu kritisieren.
→ weiter lesenEr galt als der Star, genauer: als der große Ideologe der „68er“. Herbert Marcuse, geboren 1898 in Berlin, jüdischer Herkunft wie so viele linke Intellektuelle im Deutschland des ersten Drittels im 20. Jahrhundert. In den frühen 1920er Jahren wurde er in Literaturgeschichte promoviert; Ende des Jahrzehnts zeigte er sich fasziniert von Martin Heidegger in Freiburg. Ehe die Weimarer Republik ganz zerbrach, hatte sich Marcuse des Frankfurter Instituts für Sozialforschung zugewandt, geriet in einen über Jahrzehnte währenden, wenngleich spannungsreichen Kontakt mit Max Horkheimer und Theodor W. Adorno auf der gemeinsamen Basis der Kritischen Theorie. Der Nationalsozialismus zwang ihn zur Emigration in die Vereinigten Staaten, wo er nach dem Zweiten Weltkrieg Professuren für Politische Wissenschaft erhielt und allerlei Schriften verfasste, die allerdings lange kaum jemand wahrnahm. Vor allem in Deutschland kannten die universitären Fachforscher so gut wie nichts von oder über Marcuse. Dann erschien 1964 dessen Buch „One-Dimensional Man“. Und Marcuse avancierte damit schlagartig, also bereits vier Jahre vor 1968, zum Meisterdenker der „kritischen Jugend“ an den Universitäten der westlichen Welt.
→ weiter lesenDie Felder, auf denen sich gesellschaftliche Wandlungsprozesse, sich langsam verschiebende Mentalitäten und neue Sichtweisen von Zukunft und dem eigenen Leben beobachten lassen, sind vielfältig. Auch anhand der Geschichte des Bergsteigens etwa lassen sich gesellschaftliche Vorstellungen und Individualisierungsschübe nachvollziehen: von den großen, zu Ruhm und Ehre des erobernden Nationalstaates militärisch organisierten Expeditionen der 1930er bis 1960er Jahre hin zu immer kleineren Teams oder gar Einzelunternehmungen, die nur noch durch die ganz individuelle Idee der Teilnehmer motiviert und zusammengehalten wurden. Dass osteuropäische Bergsteiger und Kletterer dabei oftmals in einer etwas anderen Liga spielen, scheint fast eine Binsenweisheit zu sein. Viele der härtesten und vor allem riskantesten Wände, Berge und Winterbesteigungen wurden jedenfalls von Alpinisten aus dem ehemaligen Ostblock durchgeführt.
Und noch ein großer Geburtstag, den die Sozialdemokraten im Jahr 2013 feiern können: Am 18. Dezember 1913 brachte in Lübeck die Verkäuferin Martha Frahm ihren Sohn Herbert auf die Welt. Willy Brandt, wie sich dieser seit den Jahren der Emigration nach 1933 nannte, war schon als Kind über die Mutter und den Großvater gleichsam naturwüchsig in das sozialdemokratische Umfeld hineingewachsen, was etwa für den großen Parteiführer der Kaiserreichsjahre August Bebel, der gerade gestorben war, als Brandt auf die Welt kam, nicht zutraf, da dieser erst zu begründen hatte, worin Brandt dann politisch selbstverständlich aufwuchs. Aber wie fragil das Konstrukt war, wie sehr einige der planerischen Annahmen der Sozialismus-Architekten getrogen hatten, das hatte Bebel nicht mehr erleben müssen. Brandt wurde mit dieser Erfahrung groß. Als er zu den Roten Falken ging und im Jahr 1930, gerade 16-jährig, der SPD beitrat, unterschied sich die Welt der Arbeiterbewegung grundlegend von der im Jahr 1913 – dem Todesjahr des einen, dem Geburtsjahr des anderen der beiden großen Parteiführer in der sozialdemokratischen Geschichte. Der internationalistische Optimismus – perdu. Die Siegesgewissheit des Sozialismus – gebrochen. Das Monopol auf die Opposition gegen die bürgerliche Gesellschaft – passé. Die Hoffnung auf den Volksstaat – enttäuscht. Willy Brandt gehörte zu der Kohorte junger Sozialisten, die mit 16 Jahren unter dem Banner „Republik, das ist nicht viel, Sozialismus ist unser Ziel“ durch die Straßen marschierte. Ihre sozialistische Projektion besaß längst nicht mehr die heitere und unbekümmerte Selbstsicherheit wie in der Generation Bebel. Der Glaube enthielt nunmehr starke Züge von Skepsis, zuweilen der Verzweiflung, wohl auch des Trotz-Dogmatismus, um bohrende Fragen, das Gift des Einwands, das niemandem mehr unbekannt war, nicht an sich heranzulassen.
Sobald es mal wieder darum geht, Klasse und Format unseres heutigen Politikpersonals zu bemängeln, gehört sein Name zu einer Reihe von Kontrastfiguren einer vermeintlich besseren, jedenfalls noch ganz anderen Politikelite – die noch zu reden verstand, klar unterscheidbare Programme vertrat und irgendwie wusste, wo es hingegen soll: Franz Josef Strauß. Aber inwiefern trifft dieses pauschale Bild eigentlich zu?
→ weiter lesenPolitiker haben in der Bevölkerung einen schweren Stand. Sie gelten oftmals als inkompetent, egoistisch oder gar korrupt. Politiker der Vergangenheit gelten im Rückblick dagegen oftmals als standhafte Charakterköpfe. Handelt es sich bei dieser Einschätzung um historische Verklärungen oder hat sich das politische Personal wirklich verändert? Matthias Micus analysiert den Beruf des Politikers gestern und heute.
Video: Severin Caspari und Alex Hensel
→ weiter lesenAls Werner Conze Göttingen verließ, war er noch längst nicht der Historiker, als der er heute erinnert wird – als Wegbereiter der Sozial- und Begriffsgeschichte, die er anfänglich wesentlich inspirierte. Gleichwohl hatte Conze sein darauf zielendes wissenschaftliches Programm bereits in seinen Göttinger Jahren von 1946 bis 1952 voranbringen wollen. Allein, das historische Seminar der Göttinger Universität, zunächst Conzes Zufluchtsort, wusste diese Neuausrichtung nicht zu würdigen.
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