[debattiert]: Im Forschungsjournal Soziale Bewegungen (FJSB), H. 1-2/2018, übten Simon Teune und Peter Ullrich vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) scharfe Kritik an der Arbeit von FoDEx und der Bundesfachstelle Linke Militanz. Nachfolgende Replik ist eine Antwort der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beider Einrichtungen, die wortgleich ebenfalls im FJSB, H. 3/2018, abgedruckt worden ist.
Von Florian Finkbeiner und Julian Schenke
In Zusammenarbeit mit Lars Geiges, Stine Marg, Matthias Micus und Katharina Trittel
Es gibt Schlagwörter, die einzufordern einen automatisch auf die richtige, die „gute“ Seite stellt. „Transparenz“ ist ein solches Wort. Doch verschleiern derartige Forderungen oftmals dahinterstehende Interessen. Und auch Simon Teune und Peter Ullrich nehmen es mit der von ihnen vehement eingeklagten Transparenz und Offenheit selbst nicht so genau. Zwar sei es „falsch“, so schreiben sie in ihrem Beitrag Protestforschung mit politischem Auftrag?, „nur mit dem Finger auf die Kolleg*innen in Göttingen zu zeigen“[1] – doch im Großen und Ganzen tun sie genau das.
Die beiden Forscher des Berliner „Instituts für Protest- und Bewegungsforschung“ (IPB) versuchen in ihrem Artikel einen Rundumschlag gegen den aktuellen Zustand „der Protestforschung“. Insbesondere fragen sie – wenn auch letztlich eher rhetorisch – nach den Möglichkeiten der Forschungsfreiheit angesichts staatlicher und drittmittelbasierter Projektfinanzierung. Ihre Gegenstandsbemessung exemplifizieren sie an drei Institutionen, die in ihren Augen mit ihrer Forschungsarbeit einen „politischen Auftrag“ erfüllen: neben dem „Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft“ in Jena und der „Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus“ in Potsdam ist dies in erster Linie das „Göttinger Institut für Demokratieforschung“, an das die „Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen“ (FoDEx) und unabhängig davon die „Bundesfachstelle Linke Militanz“ angegliedert sind. Herausgekommen ist ein Traktat im Duktus vermeintlich analytischer Entlarvung und moralischer Entrüstung.
→ weiter lesenAusgerechnet in der sächsischen Hauptstadt Dresden nahmen die Kundgebungen der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, für die das Kürzel „PEGIDA“ steht, ihren Ausgang. Dass das erstaunlich ist, weil in der Stadt wie im restlichen Sachsen kaum Muslime leben, darauf ist schon oft hingewiesen worden. Genau so absurd ist aber, dass die „PEGIDA“-Aktivisten im Namen ihrer Bewegung das Wort Abendland tragen und behaupten, dieses zu verteidigen. Denn das Wort Abendland ist religiös konnotiert, und zwar ursprünglich in einem katholisch-konservativen Sinne. Doch Sachsen gehört zu den säkularisiertesten und religionsfernsten Regionen Europas, wenn nicht sogar der ganzen Welt; die große Mehrheit der Menschen in Sachsen – über siebzig Prozent – ist konfessionslos und areligiös, und das gilt auch für die große Mehrheit der „PEGIDA“-Mitläufer. Wie passt das zusammen?
→ weiter lesen„Der Islam“ in Deutschland, sofern man überhaupt von einem Islam sprechen kann, steht seit 2015 im Mittelpunkt intensiver Debatten. Nicht erst durch die „Flüchtlingskrise“ geriet der Islam abermals in den Fokus der medialen Öffentlichkeit, wurde über eine „richtige“ Integration der meist muslimischen Einwanderer gesprochen und kontrovers diskutiert. Allein, so umstritten die Formen, der Umfang und die Ziele einer gelungenen Integration waren und weiterhin sind, so offen, unterschiedlich und umkämpft sind die Vorstellungen davon, wie es um die aufnehmende Gesellschaft eigentlich beschaffen sein sollte. So hat auch die Debatte um den Begriff der „Leitkultur“ in den letzten Jahren merklich an Konjunktur und Schärfe gewonnen. Überdies hat diese Debatte mit der Alternative für Deutschland (AfD), die mit einem islamskeptischen und auch -feindlichen Programm zur Bundestagswahl antritt und sich den Satz: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, in den Programmentwurf zur Bundestagswahl geschrieben hat,[1] direkten Eingang in den aufkommenden Bundestagswahlkampf gefunden. Der Islam braucht daher gerade jetzt eine neben dem Christen- und Judentum gleichberechtigt starke Stellung als religiöser Interessenverband in der deutschen Politik. Die Gründe dafür sind vielfältig.
[debattiert] Jöran Klatt über die Aktualität Max Webers
Vor hundert Jahren hielt Max Weber vor dem bayrischen Landesverband des Freistudentischen Bundes einen Vortrag mit dem Titel „Wissenschaft als Beruf“. Dort entwickelte er seine berühmte Formel von der „Entzauberung der Welt“. Diese Formulierung, die den endgültigen Sieg der Rationalität und des Verstandes über das Vormoderne, die Welt des Mystischen, der Dämonen, Hexen und Magie, prägnant in Worte kleidete, sollte eine Schlüsselphrase der Moderne werden.
Seit nun bald zwei Jahren diskutiert Baden-Württemberg intensiv darüber, ob und in welcher Form der Sexualkundeunterricht verschiedene Entwürfe sexueller Präferenzen als Normalität darstellen darf. Pegida und auch das AfD-Grundsatzprogramm warnen vor einem Gender-Mainstreaming. Und nicht zu vergessen: die Frauenquote. Auch 2015 mangelt es offenbar nicht an sozialer Energie und Konfliktpotenzial, wenn es um Kategorien der Geschlechtlichkeit geht. Ein Blick auf das Politische Geschlecht bietet sich also an – auf die Rolle, die Gender als Kategorie von policy und politics hat. Das Institut für Demokratieforschung wird sich mit der hier beginnenden Reihe in den folgenden Wochen und Monaten dieser Thematik widmen. Die Perspektive Gender einzunehmen, bedeutet dabei nicht selten ein soziales Spannungsfeld zu betreten.
Als im Rahmen des Forschungsprojekts „Göttinger Kinderdemokratie“ (2011-2014) Grundschulkinder befragt wurden, ob sie schon einmal den Begriff Demokratie gehört hatten, antwortete beispielsweise ein Junge, dass es sich hierbei doch wohl um ein Computerspiel handeln müsse. Diese Assoziation mag zwar zunächst kindlich naiv wirken, dennoch lassen sich Parallelen feststellen: Beiden, Demokratie und dem (Computer-)Spiel, wohnt eine bestimmte Komplexität inne, weshalb sie gewisser (Spiel-)Regeln bedürfen.
→ weiter lesenEr galt als der Star, genauer: als der große Ideologe der „68er“. Herbert Marcuse, geboren 1898 in Berlin, jüdischer Herkunft wie so viele linke Intellektuelle im Deutschland des ersten Drittels im 20. Jahrhundert. In den frühen 1920er Jahren wurde er in Literaturgeschichte promoviert; Ende des Jahrzehnts zeigte er sich fasziniert von Martin Heidegger in Freiburg. Ehe die Weimarer Republik ganz zerbrach, hatte sich Marcuse des Frankfurter Instituts für Sozialforschung zugewandt, geriet in einen über Jahrzehnte währenden, wenngleich spannungsreichen Kontakt mit Max Horkheimer und Theodor W. Adorno auf der gemeinsamen Basis der Kritischen Theorie. Der Nationalsozialismus zwang ihn zur Emigration in die Vereinigten Staaten, wo er nach dem Zweiten Weltkrieg Professuren für Politische Wissenschaft erhielt und allerlei Schriften verfasste, die allerdings lange kaum jemand wahrnahm. Vor allem in Deutschland kannten die universitären Fachforscher so gut wie nichts von oder über Marcuse. Dann erschien 1964 dessen Buch „One-Dimensional Man“. Und Marcuse avancierte damit schlagartig, also bereits vier Jahre vor 1968, zum Meisterdenker der „kritischen Jugend“ an den Universitäten der westlichen Welt.
→ weiter lesen„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ – den meisten politisch Interessierten ist diese Sentenz des Altbundeskanzlers Helmut Schmidt wahrscheinlich geläufig. Der Ratschlag, einen Arzt aufzusuchen, suggeriert dabei zwei Unterstellungen:
Schmidts Ratschlag impliziert damit das Verständnis von Visionen [1] als Defekte, als ein maroder Zustand. Mag diese Einschätzung als pathologische Diagnose auf das ein oder andere Individuum zutreffen, so bezog der Altbundeskanzler sie auf den Politikbetrieb im Allgemeinen, der seinem Verständnis nach besser nicht herum zu spekulieren, sondern handlungsorientiert und mit einem Fokus auf die Gegenwart zu agieren habe.
→ weiter lesenNicht erst seit PISA ist die Zielgruppe der so genannten bildungsbenachteiligten Jugendlichen verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit politischer Bildung geraten. Die wichtigste Erkenntnis hierbei lautete zunächst, dass sich eine Gruppe von Jugendlichen ausmachen lässt, die eine deutlich stärkere Distanz bzw. „Ferne“ zu Bildung aufweist als ihre Altersgenossen. Im Kontext politischer Bildung bedeutet dies also, dass es spezifische Gesellschaftsteile gibt, die als „politikfern“ einzustufen sind. Sie zeigen beispielsweise keine bzw. nur wenige Kenntnisse über aktuelle politische Debatten oder kaum bis gar kein politisches Engagement. Wer genau zu dieser Gruppe gehört und was ihre Existenz eigentlich bedeutet, ist für die Entwicklung der Angebote politischer Bildung von großer Bedeutung, will man dem Ausschluss bestimmter Gruppen in demokratischen Gesellschaften entgegenwirken.
→ weiter lesenUngeachtet der in diesem Blog geäußerten Zweifel, ob Konzepte wie Demokratie 4.0 verfassungsmäßig sind oder nicht, stellt sich bei diesem und anderem Erneuerungsprogramm der Demokratie mit Hilfe des Internets letztlich – oder vielleicht besser: zuerst – die Frage nach theoretischen und normativen Grundlagen derartiger Gedankenspiele. Angenommen also, die technischen Probleme solcher Vorhaben ließen sich zur Zufriedenheit der Verfassungshüter lösen: Wäre die Einführung solcher Verfahrensweisen tatsächlich der Revitalisierung des demokratischen Projektes förderlich?
→ weiter lesen„Wenn es in einem Land Parteien gibt, entsteht früher oder später eine Sachlage, in der es unmöglich ist, wirksam auf die öffentlichen Angelegenheiten Einfluss zu nehmen, ohne in eine Partei einzutreten und das Spiel mitzuspielen.“[1]